Der westliche Universalismus [electronic resource] : Eine Verteidigung klassischer Positionen /

"Mein ältester Bruder Nikolenka war sechs Jahre älter als ich. Als ich fünf Jahre alt war, meine Brüder Mitenka und Serjosha sechs und sieben, sagte er uns, er wisse ein Geheimnis, wie man alle Menschen glücklich machen könne. Dann gäbe es keine Krankheiten mehr, keine Unannehmlichkeiten, die Menschen würden nicht mehr aufeinander böse sein, sondern einander lieben und 'Ameisenbrüder' werden. (Wahrscheinlich hatte er etwas von den Mährischen Brüdern gehört oder gelesen, aber in unserer Sprache waren das 'Ameisenbrüder'. ) Ich weiß noch, daß dieses Wort uns besonders gefiel, weil es uns an Ameisen in einem Erdhaufen erinnerte. Wir spielten sogar 'Ameisenbrüder'. Dieses Spiel bestand darin, daß wir uns unter Stühle setz­ ten, sie mit Kästen verbarrikadierten und mit Tüchern verhängten und dort eng aneinandergeschmiegt im Dunkeln hockten. Ich erinnere mich, daß ich dabei ein besonderes Gefühl von Liebe und Zärtlichkeit empfand und dieses Spiel sehr liebte. In die 'Ameisenbrüderschaft' waren wir nun eingeweiht, aber das eigent­ liche Geheimnis, wie man es machen müsse, daß die Menschen kein Unglück mehr kennen, sich niemals streiten, niemals böse sein würden, sondern auf immer glücklich wären, dieses Geheimnis sei auf einen grünen Stock ge­ schrieben, sagte uns Nikolenka, und diesen Stock habe er am Rande der Schlucht im Alten Wald vergraben, an der Stelle, wo ich, da man meine Leiche ja irgendwo verscharren muß, in Erinnerung an Nikolenka begraben werden möchte.

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Bibliographic Details
Main Authors: Tönnies, Sibylle. author., SpringerLink (Online service)
Format: Texto biblioteca
Language:ger
Published: Wiesbaden : VS Verlag für Sozialwissenschaften : Imprint: VS Verlag für Sozialwissenschaften, 1995
Subjects:Social sciences., Sociology., Social Sciences., Sociology, general.,
Online Access:http://dx.doi.org/10.1007/978-3-663-09645-0
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Description
Summary:"Mein ältester Bruder Nikolenka war sechs Jahre älter als ich. Als ich fünf Jahre alt war, meine Brüder Mitenka und Serjosha sechs und sieben, sagte er uns, er wisse ein Geheimnis, wie man alle Menschen glücklich machen könne. Dann gäbe es keine Krankheiten mehr, keine Unannehmlichkeiten, die Menschen würden nicht mehr aufeinander böse sein, sondern einander lieben und 'Ameisenbrüder' werden. (Wahrscheinlich hatte er etwas von den Mährischen Brüdern gehört oder gelesen, aber in unserer Sprache waren das 'Ameisenbrüder'. ) Ich weiß noch, daß dieses Wort uns besonders gefiel, weil es uns an Ameisen in einem Erdhaufen erinnerte. Wir spielten sogar 'Ameisenbrüder'. Dieses Spiel bestand darin, daß wir uns unter Stühle setz­ ten, sie mit Kästen verbarrikadierten und mit Tüchern verhängten und dort eng aneinandergeschmiegt im Dunkeln hockten. Ich erinnere mich, daß ich dabei ein besonderes Gefühl von Liebe und Zärtlichkeit empfand und dieses Spiel sehr liebte. In die 'Ameisenbrüderschaft' waren wir nun eingeweiht, aber das eigent­ liche Geheimnis, wie man es machen müsse, daß die Menschen kein Unglück mehr kennen, sich niemals streiten, niemals böse sein würden, sondern auf immer glücklich wären, dieses Geheimnis sei auf einen grünen Stock ge­ schrieben, sagte uns Nikolenka, und diesen Stock habe er am Rande der Schlucht im Alten Wald vergraben, an der Stelle, wo ich, da man meine Leiche ja irgendwo verscharren muß, in Erinnerung an Nikolenka begraben werden möchte.